In den letzten Wochen ist in der Tierheilpraktiker- und Pferdetherapie-Szene eine spürbare Unruhe entstanden. Auslöser sind unter anderem Abmahnungen wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Heilmittelwerbegesetz – insbesondere wegen unzulässiger Heilversprechen. Parallel dazu erschien ein vielbeachteter Artikel von Tierarzt Ralph Rückert (der nicht mit Abmahnungen in Verbindung steht), der die unregulierte Tätigkeit von Tierheilpraktikerinnen deutlich kritisiert.
Dieser Blogbeitrag ist meine Sicht der Dinge dazu – und ein Appell für einen ernst gemeinten, wissenschaftlich geführten Dialog jenseits von Abwertung, Ideologie und Grabenkämpfen.
Meine vollständige Antwort ist hier zu finden:
🔍 Worin ich Herrn Rückert ausdrücklich zustimme
Die Berufsbezeichnung „Tierheilpraktikerin“ ist in Deutschland nicht geschützt. Jede Person kann sich ohne Qualifikationsnachweis so nennen und Tiere „behandeln“ – abgesehen von tierärztlich vorbehaltenen Maßnahmen wie Impfen, Röntgen, Verschreiben von Medikamenten oder Operationen.
Das ist ein reales Problem. Und ich kenne KEINEN EINZIGEN Tierarzt, der mit einer Tierheilpraktikerin willentlich zusammenarbeitet und das obwohl ein sehr guter Freund praktizierender Tierarzt ist und zu jenen gehört, die eine Brücke zwischen Veterinärmedizin und Pferdetherapeuten schlägt. Auch er hat seine Gründe.
Im Bereich der Pflanzenheilkunde für Pferde, dem Fachgebiet, in dem ich seit Jahren lehre, forsche und praktiziere, begegnen mir häufig:
❌ gefährliches Halbwissen
❌ unreflektierte Methoden
❌ fehlende toxikologische und pharmakologische Grundlagen
❌ Seminare, die viel Geld kosten, aber kaum Verständnis vermitteln
An dieser Stelle ist Kritik berechtigt. Tierschutz braucht Kompetenz, Verantwortung und eine Form wissenschaftlicher Demut. Aber es braucht noch mehr:
Warum eine pauschale Ablehnung traditioneller Heiltraditionen zu kurz greift
Die therapeutische Nutzung von Pflanzen ist so alt wie die Menschheit selbst. Ethnobotanik, Ethnomedizin und Archäologie zeigen:
👉 Vor der Labordiagnostik existierte systematisches Erfahrungswissen.
👉 Viele moderne Wirkstoffe haben pflanzenheilkundliche Ursprünge.
👉 Über Generationen entstand ein differenziertes Verständnis über Boden, Klima, Erntezeitpunkte, Pflanzenteile und Zubereitungsmethoden.
Dieses Wissen war nicht fehlerfrei – aber es war empirisch. Historisch wurde ein großer Teil davon zerstört, insbesondere im Zuge der europäischen Hexenverfolgungen, in denen heilkundige Frauen verfolgt und ihr Wissen ausgelöscht wurde. Die Figur der Hagazussa – „die an der Hecke Sitzende“ – markiert die Schwelle zwischen Zivilisation und Wildnis, zwischen dem Geschaffenen und dem Gewachsenen.
Bis heute begegnen wir Spuren dieses alten Misstrauens, zum Beispiel im wiederkehrenden Druck auf Hebammen und komplementäre Gesundheitsberufe.
Es geht hier also nicht nur um Methoden, sondern um eine kulturelle Wunde.
📉 Ein strukturelles Problem: Zu wenig Forschung in der Veterinär-Phytotherapie
Obwohl zahlreiche pflanzliche Wirkstoffe in der Tiermedizin eingesetzt werden, besteht ein deutliches Forschungsdefizit. Gründe:
🌱 Pflanzen sind Vielstoffgemische, keine Einzelwirkstoffe
🌦 Wirkstoffgehalte variieren stark nach Standort, Boden, Klima, Erntezeit
💰 Studien dazu sind kostenintensiv – aber wirtschaftlich oft kaum attraktiv
🐴 Ergebnisse aus Rind, Mensch oder Hund sind auf Pferde nur begrenzt übertragbar
Gerade Pferde stellen eine besondere Herausforderung dar:
Pferde sind Dickdarmfermentierer. Ihre Stoffwechsel- und Verdauungsphysiologie unterscheidet sich signifikant von Wiederkäuern und „einfachen“ Monogastriern. Viele Studienergebnisse lassen sich deshalb nicht 1:1 übertragen.
Selbst toxikologische Datenbanken wie Vetpharm/Clinitox liefern nicht immer eindeutige LD-Werte, weil Toxizität abhängig ist von:
• Leber- und Stoffwechselstatus
• Mikrobiom-Balance
• Stressregulation
• Haltungsform und Fütterung
Brauchen wir mehr Forschung statt weniger Pflanzenkunde?
🐎 Meine Grundhaltung: Pferde sind eigenständig überlebensfähige Wesen
Ich arbeite, forsche und lehre aus der Überzeugung heraus, dass Pferde von Natur aus dazu fähig sind, Pflanzen als Nahrung, Medizin und Information zu nutzen, sofern ihr Organismus dazu in der Lage ist.
Doch viele Pferde haben diese Fähigkeit verloren oder sind darin eingeschränkt, weil sie über Generationen geprägt wurden durch:
- Zuchtselektion jenseits biologischer Ressourcen
- chronische Stoffwechselbelastungen / Leber- und Mikrobiomprobleme
- Stress und Haltungsdefizite
- eingeschränkte Pflanzenvielfalt im Futter
- Bitterstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe
- kein Training toxischer Toleranzen (detoxification literacy)
Mein Ziel ist daher:
Pferden wieder den Zugang zu ihrer natürlichen Ernährung und pflanzlichen Selbstregulation zurückzugeben.
Dazu gehört auch ein Giftpflanzenkompensationsvolumen – die Fähigkeit, in gewissem Rahmen natürliche Toxine auszugleichen, ohne bei kleinsten Futter- oder Witterungsänderungen zu erkranken.
Diese Kompetenz ist keine Romantisierung, sondern eine biologisch nachvollziehbare evolutive Notwendigkeit.
🕊 Zwischen Tiermedizin und Phytotherapie: Wo ich die Grenze ziehe
Seriöse Phytotherapie arbeitet nach folgenden Prinzipien:
1️⃣ wissenschaftlich begründbare Wirkannahmen
2️⃣ Tierschutz vor Weltanschauung
3️⃣ Differenzialdiagnostische Zusammenarbeit mit Tierärzten
4️⃣ transparente Kommunikation – keine Heilversprechen
5️⃣ Anerkennung der Grenzen eigener Methoden
Ich verstehe meine Arbeit nicht als Konkurrenz zur Tiermedizin, sondern als komplementäre Disziplin, die dort hilft, wo Stoffwechsel, Ernährung, Nervensystem, Biomechanik, Psyche und Pflanzenwissen zusammengehören und meine ganz persönliche Sache, warum ich keine Tierheilpraktikerin, sondern Pferdephysio / -osteo bin: Ich möchte mich ganz klar von der rechtlichen Struktur der „Tierheilpraktiker“ abgrenzen.
🤝 Ein notwendiger Dialog
Viele Pferdehalterinnen suchen erst dann phytotherapeutische oder ganzheitliche Unterstützung, wenn mehrere tierärztliche Behandlungen symptomorientiert, aber nicht systemorientiert gegriffen haben. Dort, wo Tierärzte bereits interdisziplinär arbeiten, sehe ich die größte Zukunftschance.
Nicht im Gegeneinander – sondern im Fachdialog.
🧭 Schlussgedanken
Die Frage ist nicht:
Tierärztliche Medizin oder Pflanzenheilkunde?
Sondern:
Wie unterstützen wir Pferde bestmöglich – mit allem Wissen, das uns zur Verfügung steht zu „eigenständig überlebensfähigen Lebewesen“?
Dafür braucht es:
• Professionalisierung statt Diffamierung
• Forschung statt Verhöhnung
• Zusammenarbeit statt Grabenkämpfe
Und vor allem: Demut gegenüber dem Lebewesen Pferd.
Nicht zuletzt stellt sich mir die Frage: Kann überhaupt jemand ein anderes Lebeweisen << heilen >> oder kann es das nur selbst initiieren?
Weiterhin liebe ich es, mich mit den ethnobotanischen und somit kulturellen Zusammenhängen der Pflanzenwelt zu beschäftigen und möchte unterm Strich eins:
Die Rückverbindung zu Jahrtausende altem Wissen unserer Ahnen und Vorfahren mit neuem Wissen zu verknüpfen und in diesem Prozess des „Wurzel-Wissens“ seine Intuition zu entdecken, zu schulen und in eigene Handlungskompetenzen umzuwandeln:
Beobachten, Wahrnehmen, Fühlen, Handeln
Der Wurzel-Wissen Weg <3
________________________________________
📌 Wenn du diesen Dialog wichtig findest, teile diesen Artikel gerne.
📩 Wer sich vernetzen möchte, findet mich unter:
Vanessa Michels – Pflanzenakademie Pferd & Wurzel-Wissen

